„Wir werden das Benutzen von Harz weltweit verbieten“: Mit dieser Aussage gegenüber der Stuttgarter Zeitung sorgte IHF-Präsident Hassan Moustafa vor wenigen Wochen für Aufruhr in der Handball-Szene. Was zunächst wie ein Aprilscherz im Hochsommer klang, stellt sich immer mehr als ernsthafter Reformversuch des Weltverbandes heraus.
Die zweite Mannschaft des Handball-Oberligisten TV Plochingen hat auf kreative Art und Weise ihre Meinung zum angekündigten Harz-Verbot durch den IHF-Präsidenten Hassan Moustafa kundgetan.
Auf ihrer Facebook-Seite veröffentlichte das Team, das sich als Musik-Ensemble „TVP 1B Harzbefehl“ nennt, eine Parodie des Viral-Hits „Holz“ des Hip-Hop-Trios 257er.
Warum Handballer Harz brauchen und lieben?
A-Lizenztrainer Vicky Helms beantwortet diese Frage:
Ich liebe den Geruch. Für mich ist er untrennbar mit Vorbereitung und schweißtreibenden Trainingseinheiten verbunden – nach der Pause das erste Mal wieder den Ball in der Hand. Das schmatzende Geräusch, wenn man die Haftintensität testet. Ein verschmitztes Lächeln, weil man damit so geile Sachen machen kann. Einige der schönsten Erinnerungen meiner Zeit als aktive Spielerin kleben an diesem Zeug: Harz.
Das Haftmittel, das viele Namen trägt: Kleber, Patte, Backe, Klister. Als ich das erste Mal damit in Kontakt kam, war es tatsächlich noch echtes Baumharz. Zu erwerben im Baummarkt, nur erhältlich, wenn die nette Verkäuferin den abgeschlossenen Schrank öffnete, und mit der Aufschrift „Direkten Hautkontakt vermeiden“ versehen. Einmal auf den Klamotten, waren die gezeichnet fürs Leben. Handball-Tattoos.
Vieles hat sich seitdem verändert. Heute gibt es spezielle Haftmittel, wasserlöslich, spezielle Reinigungsmittel, obwohl Babyöl und Nivea-Creme immer noch funktionieren, ganze Ballreinigungsmaschinen und spezielle Harz-Depot-Clips für die Schuhe. Doch die Diskussion ist immer noch die Alte. Diese hat IHF-Präsident Moustafa mit seiner Ankündigung eines weltweiten und generellen Harz-Verbots gerade wieder zum Lodern gebracht.
Stellt sich die Frage: Warum brauchen Handballer überhaupt Harz?
Die Griffkraft und das Handgelenk
Die Funktion unseres Unterarm-Hand-Systems beinhaltet einen Aspekt, der Trickwürfen wie Drehern aber auch der optimalen Wurftechnik mit Klappbewegung im Handgelenk oft im Wege steht. Die Muskeln, mit denen wir den Ball greifen, sind gleichzeitig Stabilisatoren des Handgelenks. Das bedeutet: Je fester wir zugreifen, je mehr Druck wir mit den Fingern ausüben, desto steifer und weniger beweglich wird das Gelenk. Einfach mal selbst ausprobieren.
Wenn wir den Ball nun fest-halten müssen, weil die Hände nicht die größten oder die Oberfläche rutschig ist, reduziert sich die Lockerheit und Beweglichkeit des Handgelenks. Haftmittel verringert den nötigen Krafteinsatz der Finger, eine feine Koordination im Hangelenk wird möglich. Dreher – ich komme.
Wenn die Klodeckel bereits aus waren
Zu den konstitutionellen Voraussetzungen – also jenen Merkmalen eines Spielers, die genetisch vermittelt, nicht trainierbar, aber für den Erfolg in der Sportart äußerst wichtig sind – gehört im Handball insbesondere die Größe der Hände. Genauer gesagt, die Spannbreite zwischen Daumen und Kleinfinger. Diese beiden Finger greifen im besten Fall möglichst weit um den Ball und sind die vorrangigen Festhalter. Wer hier von Mutter Natur nicht mit Händen wie Klodeckel gesegnet wurde, ist für jedes Klümpchen Harz dankbar, das im Umgang mit der Spielgerät Sicherheit gibt.
Viele Fehler in der Wurf- und Passtechnik sind auf eine mangelnde Größe der Hände in Relation zum Ball und fehlende Griffkraft zurückzuführen. Frauen und Mädchen sind hier weitaus häufiger betroffen. Ohne die Haftmittel-Möglichkeit gewinnen die anatomischen Voraussetzungen in diesem Bereich eine höhere Bedeutung. Griffkraft kann diese Nachteile zwar teilweise ausgleichen, dann haben wir jedoch wieder das Problem des festen Handgelenks.
Harz verzeiht keine Fehler
Die Probleme, die bei dem ersten bzw. unregelmäßigen Einsatz von Haftmitteln auftreten, sind vielen bekannt: Die Erdanziehung scheint um ein Vielfaches erhöht, der Ball verfügt plötzlich über einen eigenen Willen, jedenfalls treffen die Pässe und Würfe erstmal seltener das Ziel. Natürlich ist es eine Frage der (noch) nicht angepassten Kraftdosierung. Durch das Harz überträgt sich allerdings jeder Impuls, der während des Armzugs entwickelt wird, schneller und direkter auf das Spielgerät. Das heißt, jede Veränderung – und auch jeder Fehler – in der Technik (Drehungen, Klapp- und Kippbewegungen im Handgelenk) wird sichtbar. Was auf der einen Seite die Voraussetzungen für Trickwürfe ist, spiegelt auf der anderen Seite technische Defizite klar und deutlich wider.
Frei im Kopf für Wichtigeres
Leistungen in unserer Sportart beruhen im Kern auf Entscheidungen. Für gute und richtige Entscheidungen brauchen Spieler Informationen. Im Handball sind es in der erster Linie visuelle (Sehen) und taktile (Fühlen) Informationen, die für die Auswahl von Handlungen (Durchbruch, Pass, Wurf, Richtung) wichtig sind. Unser Informationsaufnahme- und -verarbeitungssystem ist jedoch begrenzt. Wer sich ständig und immer wieder vergewissern muss, dass er den Ball noch unter Kontrolle hat, wer sich auf das Fangen konzentrieren muss, dessen Arbeitsspeicher ist bereits zum Teil belastet und hat weniger Kapazitäten für wichtige Informationen wie Positionierung und Bewegung der anderen Spieler, Druck auf den eigenen Körper usw. Wer andersherum weiß, dass er die Hand nur Richtung Ball strecken muss, um ihn einhändig zu fangen, wer sich sicher ist, dass er den Ball im Zweikampf im Griff hat, der kann sich viel eher und viel detaillierter mit der Situation auseinandersetzen. Ballkontrolle macht den Kopf frei für die wirklich wichtigen Dinge auf dem Spielfeld.
Harz ist für Handballer wie Stollenschuhe im Fußball, Spikes beim Sprint, Magnesia im Turnen. Es ist ein Hilfsmittel, das unsere Sportart auf ein höheres Niveau bringt. Wir lieben, was es möglich macht und wozu es uns und andere befähigt.